Talent Relationship Management – die neue Disziplin?

Neulich bin ich bei xing über einen interessanten Blogeintrag bzw. eine Buchempfehlung zum Thema „Talent Relationship Management“ gestolpert.

Als Personalentwickler und Web 2.0-Profi kann ich den Ausführungen des Blogs nur sehr bedingt zustimmen. Persönlich habe ich das Gefühl, das aufgrund des aktuellen Social Media-Hypes die Prinzipien und Praktiken der freien Netzwerke zu schnell, zu einfach und zu pauschal auf den Unternehmenskontext übertragen werden.

Um mich nicht misszuverstehen: Ich halte eine wertschätzende und dialogische Kommunikation mit Bewerbern  sowie entsprechende Personalmarketingmaßnahmen (Schulbesuche etc.) für essentiell im Bewerbermanagement. Aber das habe ich schon immer – unabhängig von den technischen und sozialen Rahmenbedingungen – für wichtig erachtet. Vielleicht ist dieser Gedanke in Zeiten des E-Recruitings und den damit erforderlichen Effizienzsteigerungen durch Automatisierungen im Auswahlprozess (Massenbewerbungen vs. Bewerbergängelungen durch standardisierte Bewerbungsmasken) ein wenig in den Hintergrund geraten. Die sozialen Medien können hier sicherlich einen charmanten Mehrwert liefern.

Wer allerdings glaubt, langfristig tragfähige „Beziehungen“ mit möglichen Talenten auf dem Bewerbermarkt zu bilden oder gar „Unternehmens-Freunde“ zu finden, der liegt aus meiner Sicht falsch, denn er verkennt die existierenden Machtverhältnisse sowie die Grundprinzipien der Netzwerkbildung. Bewerber suchen zumeist zeitnah eine Anstellung, während Unternehmen am liebsten einen langfristigen „Goldfischteich“ bilden wollen, aus dem sie sich bei Bedarf irgendwann bedienen können. Das aus diesen unterschiedlichen Motivlagen keine dauerhafte „Beziehung“ entstehen kann ist für mich sehr augenscheinlich. Darüber hinaus persönliche (Mitarbeiter-)Kontakte für Empfehlungen im Bewerbungsprozess zu nutzen halte ich auch nicht für neu und hieß bei mir früher „Vitamin B“. Wer dies allerdings im Auswahlprozess als ernstzunehmenden Auswahlschritt nutzt handelt für mich aus eignungsdiagnostischen Gesichtspunkten grob fahrlässig.

Die Unternehmen, die in dem genannten Artikel jetzt als Musterbeispiele genannt werden, sind aus meiner Sicht zumeist die, die in der Vergangenheit aufgrund des Selbstverständnisses ein äußerst konservatives Auftreten gewählt haben und bei denen man sich nun aufgrund ihres großen (notwendigen) Sprungs ins 21. Jahrhundert verwundert die Augen reibt…Zumindest meine Interessen und Bedürfnisse sind im Falle einer Bewerbung unverändert, als dass ich jetzt ein Unternehmen in meine engere Wahl nehmen würde, nur weil es endlich gutes Personalmarketing via Facebook macht…